Sonntag, 3. Januar 2016

Nachtzug nach Heilbronn

Im Nachtzug. Ankunft in Heilbronn gegen 6 Uhr. Kurze Blicke in die beklemmend engen Schlafabteile. Froh, sowas nicht reserviert zu haben.

Der Zugführer versucht witzig zu sein. Die ganze feierliche Nachtreisestimmung: sofort im Eimer.

Möchte die Mitreisenden mit ihrer Nummer ansprechen.

Vi, da sitzt ja gar niemand. Ich sehe das anders.
Werde bald wegen einer bei meinem Einstieg nicht ausgeschilderten Reservierung aus dem Abteil geworfen. Minimale Verzweiflung. Dann Gepäckabteil. Aber ich muss doch schlafen. Ich kann es mir nicht leisten, die Nacht zu durchwachen.

Lande doch wieder in einem Abteil.
Allein mit einem alten Mann, der nach Kaugummi riecht: Nummer 73.
Augen brennen vom Menthol.
Fühle mich wohl.

Passagier 73. Sei nicht zu beunruhigt. Du müsst genau hinsehen. 
73 erläutert mir seine Methoden, ein Sechserabteil rappelvoll aussehen zu lassen, obwohl er alleine drinsitzt. Hatte ich sofort durchschaut.
Es war mir eine Lust zu fragen: „Ist hier noch etwas frei?“, durch die Abwehr-Mentholnebelwand zu brechen. 73, ich werde dich erziehen.
Im Gang laufen zwei große Hunde vorbei:
„73, wenn Sie weiter Abteile an sich reißen, werden die irgendwann reinkommen. Beide. Zur Strafe.“

Setzte mich gegen 73 durch, einen Menschen vom Gang aufzunehmen. Dieser Mensch kommt aus Mannheim. Ich taufe ihn liebevoll 74.

Wenn man bei Schwärze vorm Fenster nicht mehr weiß, ob der Zug sich überhaupt bewegt, dazu Netzlosigkeit: Habe alle Referenzpunkte verloren.

74 spielt ein ASCII-Roguelike auf dem Laptop. Die Luft wird schlechter, Fenster geht nicht auf. Bald Permadeath.
Bereue mein Leben nicht.

Angsterfüllt durch vollkommene Finsternis wandernd, ohne Orientierung, aber massig Reverenzpunkte einsammelnd.