Dienstag, 16. Dezember 2014

Megacorps ist pleite, was machen wir jetzt nur? (1-4)

1 Ich bin Shelby Senfgold und Vertreter*in. Mein Arbeitgeber Megacorps ging letzte Woche pleite. Es war nicht irgendeiner, sondern der letzte große der Welt. Der Untergang von Megacorps ist gleichzeitig das Ende der Lohnarbeit. Nun beginnt eine neue Ära. Die Zeit der Langeweile.

2 Sie geben mir das Firmenauto als Ausgleich. Ein Wägelchen:


Kantig, der Fahrerraum voller Bonbonpapierchen, aber ich gab mir immer Mühe bei der Bekämpfung von Treibstoffdämpfen. Mein Auto ist sozusagen allergiesicher. Für die, denen beim Fahren schlecht wird. Du möchtest sicher wissen, für was ich denn Vertreter*in war. Nun, ich suchte keine Menschen in ihren Häusern auf, das wäre für mich inakzeptabel gewesen. Was hätte ein*e Vertreter*in der letzten Firma der Welt denn verkaufen können und vor allem an wen, wenn nicht Privatpersonen? Nun, es gibt ja noch die Tiere.

3 Ich setze mich ins Auto. Abschied vom Parkplatz. Raus aus der Tiefgarage. Das Land ist vollkommen eben und dünn besiedelt. Im Rückspiegel das Firmengelände von Megacorps, fast alle Lichter aus. Morgen wird es dem Naturverwalter übergeben werden, der dann eine planmäßige Bepflanzung vornehmen wird. Fundamentsprengung mit Wurzeln, Samenbewurf aus der Luft. Nun fokussiere ich den Horizont der lose besprenkelten Kontinentalplatte. Wo soll es denn heute hingehen? Das Auto fährt sich zäh. Habe wohl noch Ware im Kofferraum.

4 Mein Job war es, Bücher an Tiere zu verkaufen. Hier ein Auszug aus einem Buch für Hunde und Katzen:


4 Es kauften natürlich nicht die Herrchen, sondern die Tiere selbst. Ich passte sie auf ihren Streifzügen ab, Scheibe runter, rief: “Hey, du, Katze, willst du ein Buch kaufen?” Naja, vielleicht war ich doch ich ein*e ganz gewöhnliche*r Vertreter*in. Besonders bei Hunden hatte ich oft Mitleid, denn sie besaßen am häufigsten kein eigenes Geld, so verschenkte ich heimlich meine Ware. Manchmal. Bezahlte sie aus eigener Tasche. Wurde aber doch bemerkt. Es hieß dann: “Shelby, du bist doch keine Fahrbibliothek.” Tja, ich sorgte jedenfalls für gehörige Erschütterungen in den Wäldern und Wiesen, denn wegen mir kam bei mancher Spezies Unterhaltung vor Arterhaltung. Ich will nun einfach Geradeaus fahren. Auf meinem Lenkrad ist eine Markierkung, ducke ich mich, kann ich durch drehen des Lenkers ein Ziel bestimmen. Ist das ein Strich oder ein Leuchtturm?