Samstag, 25. April 2015

Computercortison

Fette Flocken statt fetter Schrift. Der Rechner summt.
Und betäubt die Nerven.
Memes aus Moos: draußen ist was los.

Vor kurzem brannte meine Grafikkarte durch. Nicht weiter schlimm, kauft man sich eben eine neue. Beginnt, sich mit diesen Geräten zu beschäftigen. Drei Lüfter, ein Kühlergrill, vier Lüfter, lächerliche Bezeichnungen. Monster mit Preisschild. Ich wollte nicht, konnte für so etwas kein Geld ausgeben. 200€ und aufwärts, Kosten eines Mikrourlaubes.
Also unterwegs mit Onboard-Grafik. Kein The Crew, kein Geglotze in künstliche Welten, klar, manches ging, aber mit Verzögerungen. Rissen im Bildschirmgemälde. Stattdessen spielte ich alte Titel von Spiderweb SoftwareGeneforge, Avernum: Escape From The Pit. Außerdem Sunless Sea. Textbasierte Titel mit hohem Fremdweltengrad. Großartige Spiele, keine Substitute. Aber mit hohen Anforderungen an die Vorstellungskraft. Aber selbst Sunless Sea, ein Unity-Titel, lief mäßig. Ich wurde nervöser. Etwas fehlte.
Ich suchte weiter nach Grafikkarten, ganze Abende lang, nach etwas, das mir dumme Entspannung – nichts lesen müssen, nur gucken – garantieren würde, aber trotzdem mit Bescheidenheit: nur ein Lüfter sollte es sein. Ich weiß nicht ganz, warum mir das so wichtig war.
Ich erinnerte mich an Spielesessions, bei denen ich stundenlang geradeaus gefahren war, mit dem Gamepad in der Hand und überhaupt nichts fühlte, als hätte ich ein starkes Schmerzmittel genommen. Dazu Musik. Alles legal und im Rahmen der Möglichkeiten.
Die Fluchtorte waren mir nicht mehr zugänglich, die Zugangsvorraussetzung durchgebrannt. Von anderen höre ich oft, dass, wenn etwa ihr Smartphone kaputt geht, von irgendeinem Freund immer schnell Ersatz herkommt. Ältere Technik, die nur rumliegt, rutscht die Rampe runter zu einem. Bei mir nicht.
Ich bin oft für andere da. Höre mir an, was sie für Probleme haben, oft sind das komplexe Darstellungen von Beziehungsgeflechten, die man entwirren muss. Mir war es nie aufgefallen, aber ich spielte tatsächlich zur Entspannung. Ich gebe es zu. Um nicht da zu sein? Was weiß ich. Es steht vielleicht im Widerspruch zu allem, was ich bisher auf dieser Seite behauptet habe. Der Wegfall der konstruierten Pose, drunter liegen angeschmorte Nerven.
Wie soll ich mich nun verhalten? Eine Grafikkarte kaufen ist, wie ein schwarzes Ticket zu erwerben, kein goldenes, die findet man ja per Zufall.
Kennt ihr das, ein Suchtmittel abzusetzen? Stellt euch vor, das Internet fällt für ein paar Stunden aus, man ruft trotzdem den Browser auf, um gegen eine Fehlerwand zu laufen. Eine Reihe von Schocks. Dann setzt die Heilung ein.
Gefühlt häufig fängt man dann an, zu zeichnen. Die Zeit verlangsamt sich, man kann Stunden wieder in Echtzeit fühlen, sie werden nicht runtergerissen oder verschlungen. Es tröpfelt.
Ich weiß nicht, ob ich an manche Orte zurück möchte, die virtuellen USA, das virtuelle Hawaii, Ibiza. Vielleicht muss ich dort wirklich hin. Mit dem Durchbrennen meiner Grafikkarte ist etwas passiert, ich kann es noch nicht benennen, aber es geht um weitaus mehr als Bildraten.
Ich schreibe diesen Text in Leipzig. Leipzig ist nicht weit weg von Chemnitz, trotzdem war ich kaum dort die letzten Jahre. Ich musste nicht. Wenn ich fort wollte, konnte ich schneller springen, billiger, immersiver. Aber in Wirklichkeit saß ich mit einem knubbeligen Gamepad zu Hause und glotzte. Gamepads haben sich durchgesetzt am PC, viel mehr Menschen nutzen sie. Vielleicht, weil man dabei etwas in der Hand hat, dass sich wie ein Organ anfühlt. Bei Maus und Tastatur muss man die Hände ausstrecken. Sie liegen flach auf den Geräten. Es ist eine künstliche, technische Situation. Bei Gamepads klammert man, das Ziel ist, alle Übersetzungsmühen zu nivellieren. Irgendwas stimmt mit diesem Immersionsgedanken nicht. Vielleicht bin das auch nur ich.
Das war kein Erweckungserlebnis. Eher ein Erschreckungsbewegnis. Computerspiele sind Cortison. Ich glaube nicht, dass diese Verletzung so schnell aufhören wird, wehzutun. Vielleicht ist es auch gar keine Verletzung, sondern der eigentliche Antrieb, fortzuleben, der schmerzen muss. Den man keinesfalls verkleben darf.